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Titel
Alexander III. zwischen Ost und West. Indigene Traditionen und Herrschaftsinszenierung im makedonischen Weltimperium


Autor(en)
Degen, Julian
Reihe
Oriens et Occidens
Erschienen
Stuttgart 2022: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
489 S.
Preis
€ 86,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Engels, Historisches Institut, Universität zu Köln

Das ständig im Umfang zunehmende Gebiet der Publikationen zur Alexanderforschung nennt man treffend fachintern augenzwinkernd das „Alexanderland“. Degens Monographie bietet hierzu einen für Althistoriker, Altorientalisten und allgemeiner für die epochenübergreifende Erforschung von Imperien lesenswerten, innovativen weiteren Beitrag. Nach einer instruktiven Einleitung zum Forschungskontext und zur Quellenlage (S. 11–51) folgen drei Hauptkapitel über Alexander als Hegemon des Korinthischen Bundes (S. 52–249), Alexander und das babylonische Königtum (S. 250–301) und besonders wichtig Alexander und das achaimenidische Imperium (S. 302–408), eine kurze Zusammenfassung (S. 409–417), eine aktuelle Bibliographie (S. 419–476), welche die vielsprachige Alexanderforschung erfreulich widerspiegelt, sowie drei nützliche und zuverlässige Register (S. 477–489, leider kein Quellenregister).

Bereits die Quellenlage zur Alexanderforschung stellt bekanntlich teils unlösbare Probleme auf Grund des nur fragmentarischen Überlieferungszustandes aller annähernd zur Lebenszeit des Makedonenkönigs Alexanders III. (diese Bezeichnung bevorzugt Degen gegenüber „Alexander der Große“) zeitgenössischen antiken Werke. Die uns vollständig erhaltenen, aber erst wesentlich späteren griechischen und lateinischen Werke sind stark durch die zwischenzeitliche Ausbildung des „Alexander-Mythos“ und die spezifischen Wirkmechanismen der vielschichtigen Alexander-Rezeption im Hellenismus und in Rom geprägt. Jeder der späteren Autoren verfolgt nämlich aus seiner Zeit und seinen auktorialen Interessen mit seinem literarischen Alexanderbild individuelle Ziele. Daher muss jedes dieser Werke auch als ein „selbständiges Narrativ“ untersucht werden (S. 13). Auch Degens scharfsinnigen Detailanalysen können die Schwierigkeit nicht überwinden, wie schmal leider unser Quellencorpus von literarischen oder epigraphischen Textzeugnissen aus dem altorientalischen und achaimenidischen Bereich zur Herrschaftsrepräsentation und dem imperialen Verständnis der Monarchen ist. Diese Quellenlage und der überwiegend klassisch-philologische Hintergrund der Mehrheit der bisherigen Alexanderforscher (auch dieses Rezensenten) mögen durchaus – vermutet Degen – eine angemessene Würdigung der lokalen und indigenen Traditionen über legitime Herrschaft im asiatischen Raum des Alexanderreiches behindert haben.

Daher möchte Degen die wichtigen Einflüsse „fremdkultureller Vorstellungen“ auf Alexanders Herrschaftsverständnis (der altorientalischen, ägyptischen und iranischen Herrschaftsmodelle) stärker würdigen, als dies in der bisherigen Forschung geschehen ist. Mit dieser Perspektive schließt er an jüngere Forschungen zum Alexanderreich und zu anderen Imperien an, welche wie das Alexanderreich einen multiethnischen und multikulturellen Charakter hatten.1 Dieser erforderte die Herausbildung von spezifischen Legitimationsstrategien der Herrschaft und eine Einbindung der Eliten aus den unterschiedlichen Herrschaftsgebieten mit ihren stark abweichenden Traditionen. Alexander herrschte über sein neuartiges antikes Universalreich im strengen Sinne nur von 330 bis 323 v.Chr. Degen klassifiziert sein Reich daher als ein „short time empire“ (vgl. dasjenige des Mithradates Eupator). Degens Untersuchung verwendet fünf grundlegende Analysekategorien: Herrschaftsverständnis, Symbolhandlungen, Rollenverständnis, Positionierungsstrategien und Außendarstellung / „Propaganda“ (S. 29–32).

Die Existenz und Stabilität des Korinthischen Bundes als einer koine eirene (einer griechischen kollektiven Friedens- und Sicherheitsordnung) hing ohne Zweifel wesentlich von der militärischen Schlagfähigkeit des Hegemons ab, zuerst Philipps II. später Alexanders III. als Könige der Makedonen. Degen bezweifelt – meines Erachtens aber mit zu großem Misstrauen etwa gegen Diodor –, dass Alexander zusätzlich zu seiner Stellung als Hegemon des Bundes auch formal noch zum strategos autokrator ernannt wurde. Während der Rezensent – und ein großer Teil der Forschung – eine zwischen 330 und 323 abnehmende Bedeutung seiner Rolle als Hegemon des Korinthischen Bundes für Alexanders Herrschaftsverständnis annehmen, betrachtet Degen diese Herrschaftsrolle auch noch 324/3 v.Chr. als ein weiterhin bedeutendes Element seines komplexen Herrschaftsverständnisses als neuartiger Universalherrscher. Degen interpretiert das „Verbanntendekret“ Alexanders von 324 v.Chr. nicht wie viele andere Forscher als ein Dokument eines „despotischen Monologes“ (S. 112) des späten Alexander und Instrument der planmäßig in Gang gesetzten Ersetzung des bisherigen Korinthischen Bundes. Für Mitglieder des Bundes sei das „Verbanntendekret“ lediglich eine Richtlinie gewesen, nur für direkt der makedonischen Herrschaft unterworfene Poleis dagegen eine verpflichtende Anordnung (S. 112–129). Hiervon ist der Rezensent nicht völlig überzeugt.

Zu Recht betont Degen wie auch andere Forscher erneut, dass der propagierte „Rache- und Befreiungskrieg“ von Anfang an ab 334 v.Chr. tatsächlich primär ein brutaler Beute- und Eroberungskrieg war. Selbst für die Griechen sei die ideologische Fundamentierung des Feldzuges „nur wenig glaubhaft“ gewesen (S. 140), die Makedonen und andere Verbündete seien ganz offen mit der Hoffnung auf Beute umworben worden. Insgesamt blieb das Heer Alexanders bis 323 v.Chr. kontinuierlich wohl das primäre Publikum seiner Selbstdarstellung als Herrscher, nicht die griechischen Poleis, auch nicht die makedonische Heimat, und nur partiell die Eliten der unterworfenen asiatischen Völker.

Während die kurzzeitige Herrschaft Alexanders über Indien in indischen indigenen Quellen erstaunlicherweise fast spurlos vorüberging, stehen für die Kernsatrapie Babylonien erfreulicherweise auch indigene Schriftzeugnisse zur Verfügung, welche die griechisch-lateinischen Quellen ergänzen können. Alexanders Babylonien-Politik stand in der longe durée älterer imperialer Herrschaft der Assyrer, Neubabylonier, oder Achaimeniden über Babylonien. Es gab keine markante Neuausrichtung in Alexanders Herrschaftsverständnis bis zu seinem letzten Aufenthalt in Babylon vor seinem Tod 323, und Alexander zeigte laut Degen Feingespür für indigene Traditionen, um die Akzeptanz seiner Herrschaft zu festigen.

Degen zufolge baute die herrschaftliche Selbstdarstellung Alexanders auf der Imperien-Diskussion ihrer Zeit und älterem „Imperiumswissen“ (S. 47, 416) auf. Man fragt sich allerdings weiterhin, auf welchen Wegen genau und über welche Personen dieses Wissen bereits dem jungen Alexander vor 334 vermittelt worden sein könnte (wohl nicht Philipp II. oder Aristoteles) oder wie er es sich selbst alternativ während des laufenden Feldzuges so schnell hat aneignen können. Alexander instrumentalisierte geschickt je nach dem wechselnden Kontext "fremdkulturelle Elemente" (S. 303) aus der altorientalischen, ägyptischen oder achaimenidischen Herrschaftslegitimation. Er strebte bereits ab 333 eine Kooperation der makedonisch-griechischen mit den indigenen asiatischen Eliten an. Die Freunde und echten oder nur „titularen“ Verwandten der Achaimenidenkönige waren unverzichtbare Träger der Herrschaft gewesen. So blieb es unter Alexander und später an den hellenistischen Höfen. Degen betont hierzu z.B. die ungebrochen "hohe Bedeutung“ (S. 237) der nichtgriechischen Eliten in Kleinasien auch unter makedonischer Herrschaft ab 334/333 (S. 236–242). Allerdings hatte diese Strategie ihre Grenzen. Denn die höchsten Posten in Reich und Heer blieben bis 324/3 doch Makedonen und nur sehr selten Griechen vorbehalten (Chiliarch, Somatophylakes, Hipparchen, Nauarchen etc.).

Wie schon bei Beginn des Feldzuges in Kleinasien inszenierte Alexander auch später im östlichen Asien eine Reihe von Symbolhandlungen, z.B. beim Überschreiten von Flüssen oder an Grenzpunkten des Alexanderzeuges (Iaxartes, Hyphasis, Indusmündung). In der Propaganda unter den Alexanderhistorikern und antiken Geographen beobachtet man eine bemerkenswerte „intentionale Verschiebung“ (S. 345) der realen Geographie Asiens, welche ideologisch die offizielle Sichtweise Alexanders als Weltherrscher und seines Hofes verbreiten sollte (z.B. zum Kaukasus-Himalaya-Problem, zu den Grenzen Asiens als Kontinent, dem Kaspischen Meer usw.). Zumindest in der Propaganda fand eine Ausdehnung der tatsächlich geringeren makedonischen Eroberungen bis an die damals bekannten Grenzpunkte der Welt statt (S. 332–374).

Der König Alexander wechselte erstaunlich flexibel jeweils nach dem primären Adressaten seine Inszenierungsstrategien als Herrscher aus einem Baukasten von Traditionen und Instrumenten griechischer, makedonischer und orientalischer Traditionen. Das Heer blieb aber kontinuierlich von 336–323 v.Chr. die primäre Öffentlichkeit, an die sich Alexander überzeugend als erfolgreicher Herrscher richten musste. Aber dieses Heer verändert sich in seiner Zusammensetzung eben auch von 334 bis 323 v.Chr. massiv. Denn nach 330 sank der Anteil der Griechen und Makedonen ständig, während derjenige der asiatischen Gruppen stieg. Degen zufolge passte sich Alexander ihren Bedürfnissen und Vorstellungen flexibel an, ohne im Kern die „ideologischen Rudimente seines Herrschaftsverständnisses“ zu verändern (S. 417). Insgesamt erfuhren jedoch mit der Entstehung des makedonischen Weltimperiums „die altorientalischen Vorstellungen von imperialer Herrschaft eine wesentliche Dynamisierung“ (S. 50). Wie andere antike und nachantike Imperien erweist sich damit auch das Alexanderreich als das Ergebnis von komplexen Aushandlungsprozessen zwischen Herrschenden und Untertanen. Degens Monographie zeichnet sich besonders durch seine profunde Kenntnis der altorientalischen und achaimenidischen Quellen und indigenen Traditionen der Herrschaftsinszenierung aus, aus deren vergleichender Interpretation mit den griechisch-lateinischen Quellen er vertiefte Erkenntnisse gewinnt, die seinen Band für Althistoriker wie klassische Philologen als Lektüre sehr empfehlen.

Anmerkung:
1 Vgl. zu Legitimationsstrategien der Eroberungen Alexanders und seiner flexiblen Regierungskunst auch jüngst mit reichen Literaturverweisen: Kai Trampedach / Alexander Meeus (Hrsg.), The Legitimation of Conquest. Monarchical Representation and the Art of Government in the Empire of Alexander the Great (Studies in Ancient Monarchies 7), Stuttgart 2020.

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